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ISSD-D

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ISSD-D - Definitionen
- ICD-10 Kapitel V (F)


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F44.4 - F44.7 dissoziative Störungen der Bewegung und der Sinnesempfindung

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Klinisch-diagnostische Leitlinien:

Bei diesen Störungen findet sich ein Verlust oder eine Veränderung von Bewegungsfunktionen oder Empfindungen, meist Hautempfindungen, so daß der Patient körperlich krank wirkt, ohne daß eine körperliche Ursache zur Erklärung der Symptome nachweisbar ist. Die Symptome folgen häufig den Vorstellungen des Patienten von einer körperlichen Krankheit, die von physiologischen oder anatomischen Gegebenheiten abweichen können. Zusätzlich verdeutlichen die Erhebung des psychopathologischen Befundes und der sozialen Situation meist, daß die Behinderung durch den Funktionsverlust dem Patienten hilft, einem unangenehmen seelischen Konflikt zu entgehen, oder indirekt Abhängigkeit oder Verstimmung auszudrücken. Obwohl die Probleme oder Konflikte anderen klar sein können, verleugnet die betroffene Person sie häufig und führt jegliches Leiden auf die Symptome oder die daraus entstehende Behinderung zurück.

Der Grad der Behinderung, der auf diese Symptome zurückzuführen ist, kann von Mal zu Mal wechseln und hängt von der Zahl und von der Art der anwesenden Personen, sowie vom emotionalen Zustand des Patienten ab; mit anderen Worten: neben einem zentralen und konstanten Kern von Symptomen mit Bewegungsverlust oder Empfindungsstörungen, ohne willentliche Kontrolle, kann zusätzlich aufmerksamkeitssuchendes Verhalten unterschiedlichen Ausmaßes vorkommen.

Bei einigen Patienten entwickeln sich die Symptome in enger Beziehung zu psychischem Streß, bei anderen aber läßt sich dieser Zusammenhang nicht feststellen. Das ruhige Annehmen («belle indifférence») einer ernsthaften Behinderung kann sehr auffallend wirken, ist aber nicht die Regel; dieses findet sich auch bei gut angepaßten Personen, die mit einer offensichtlichen und ernsten körperlichen Krankheit konfrontiert sind.

In der Regel sind prämorbide Auffälligkeiten in den persönlichen Beziehungen und in der Persönlichkeit festzustellen. Enge Verwandte oder Freunde haben vielleicht unter einer körperlichen Krankheit mit ähnlichen Symptomen gelitten wie jetzt der Patient. Leichte und vorübergehende Formen dieser Störungen findet man in der Jugend häufig, besonders bei Mädchen, längere Verläufe meist bei jungen Erwachsenen. Manche Menschen entwickeln mit Ausbildung dieser Symptome bei Belastung ein sich wiederholendes Reaktionsmuster, das auch noch im mittleren und hohen Alter auftreten kann.

Störungen, die sich auf den Verlust von Empfindungen beschränken, werden hier klassifiziert; treten zusätzlich Schmerzsensationen oder andere komplexe, durch das vegetative Nervensystem vermittelte Empfindungen hinzu, so sind diese unter den somatoformen Störungen (F45) zu klassifizieren.

Diagnostische Leitlinien:

  1. Eine körperliche Krankheit als Verursachung muß ausgeschlossen werden.
  2. Es muß ausreichend viel über den psychologischen und sozialen Hintergrund und die Beziehungen des Patienten bekannt sein, so daß eine überzeugende Erklärung für das Auftreten der Erkrankung gegeben werden kann.

Die Diagnose sollte bei neurologischen Erkrankungen oder bei einer früher gut angepaßten Person mit normalen Familien- und Sozialbeziehungen sehr zurückhaltend gestellt werden.

Es sollte bei einer Verdachts- oder vorläufigen Diagnose bleiben, wenn Zweifel über den Anteil vorhandener oder möglicher körperlicher Krankheiten bestehen, oder wenn es unmöglich ist herauszufinden, wodurch die Störung entstanden ist. In rätselhaften und unklaren Fällen ist immer das spätere Auftreten ernsthafter körperlicher oder spezifischer psychiatrischer Störungen zu bedenken.

Differentialdiagnose:

Die frühen Stadien progressiver neurologischer Störungen, insbesondere der multiplen Sklerose und des systemischen Lupus erythematodes können mit dissoziativen Störungen der Bewegung oder Empfindung verwechselt werden. Patienten, die auf frühe Stadien der multiplen Sklerose mit großer Besorgnis und aufmerksamkeitssuchendem Verhalten reagieren, bieten besonders große Probleme; vergleichsweise lange Untersuchungs- und Beobachtungszeiträume können erforderlich sein, bevor die Diagnose klar wird.

Multiple und schlecht definierte körperliche Beschwerden sind an anderer Stelle, unter somatoformen Störungen (F45) oder Neurasthenie (F48.0) zu klassifizieren.

Isolierte dissoziative Symptome können auch bei schweren psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie oder schwerer Depression auftreten. Diese Diagnosen sind jedoch gewöhnlich eindeutig und sollten aus diagnostischen und klassifikatorischen Gründen gegenüber den dissoziativen Symptomen Vorrang haben.

Eine bewußte Simulation eines Bewegungs- oder des Empfindungsverlustes ist oft sehr schwer von dissoziativen Störungen zu unterscheiden; die Entscheidung wird von der genauen Beobachtung abhängen und von dem Verständnis der Persönlichkeit des Patienten, den auslösenden Umständen bei Beginn der Störung und den Folgen der Gesundung verglichen mit der ständigen Behinderung.

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