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FOR THE STUDY OF DISSOCIATION
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ISSD-D

Aktuelles

ISSD-D - Behandlungsrichtlinien


ISSD-Richtlinien für die Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung (Multiple Persönlichkeitsstörung) bei Erwachsenen
Neufassung 1997

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III. Ein Überblick über die Psychotherapie bei DIS - Teil 2

weiter -> IV. Publikationen und Interaktionen mit den Medien

Teil II

E. Elektroschocktherapie

Elektroschocktherapie hat sich nicht als eine effektive oder angemessene Behandlung für dissoziative Störungen erwiesen. (Anm. der Übersetzerin: Der Zusatz im amerikanischen Original, daß sie sich für „Erleichterung von refraktorischen Depressionen“ eignen könne, wird hier weggelassen.)

F. Pharmakotherapie

Psychotrope Medikation ist keine primäre Behandlung bei dissoziativen Störungen, und spezifische Empfehlungen für medikamentöse Behandlung dissoziaitver Störungen sind noch durch systematische Forschung zu überprüfen. Doch einige Berichte sprechen sich für die Anwendung verschiedener Medikamente aus, um einige mit ängsten verbundene dissoziative Symptome, posttraumatische Streßsymptome und koexistierende affektive Symptome oder Störungen zu behandeln. Die meisten DIS behandelnden TherapeutInnen berichten, daß ihre KlientInnen Medikamente als ein Element ihrer Behandlung erhalten haben (Putnam & Loewenstein, 1993). TherapeutInnen, die Medikamente verschreiben, müssen eine Übereinkunft mit der KlientIn darüber treffen, insbesondere wenn sie mit der Medikation kontrolliert exprerimentieren wollen, ob positive Effekte zu erzielen seien. Gegebenenfalls gelten die entsprechenden ethischen und juristischen Richtlinien ihres Berufsstandes. Medikamente verschreibende ärzte und TherapeutInnen, die mit medikamentös behandelten KlientInnen arbeiten, sollten sich bewußt sein, daß bestimmte Persönlichkeitsanteile in der KlientIn unterschiedliche Reaktionen und Nebenwirkungen auf dasselbe Medikament zeigen können.

G. Telephonate mit der TherapeutIn

Da viele DIS-KlientInnen zu bestimmten Zeitpunkten in der Behandlung zu Krisen neigen, brauchen sie eine klare Vereinbarung mit der TherapeutIn hinsichtlich der Möglichkeit, sie in Krisenzeiten anzurufen. Generell sind regelmäßige unbegrenzte Telephonkontakte nicht hilfreich; unerläßlich aber sind begrenzte Kontakte, deren Art und Umfang vorher definiert werden sollten. Außer unter ungewöhnlichen Umständen sind regelmäßige, von der TherapeutIn ausgehende „Kontroll“-Anrufe bei der KlientIn nicht zu empfehlen. Ob und mit welchem Honorarsatz die Telephonkontakte bezahlt werden müssen, sollte mit der KlientIn vorher vereinbart werden.

H. Umgang mit zusätzlichen Therapiesitzungen

Zwar sind zusätzliche Therapiesitzungen manchmal erforderlich, doch wenn die KlientIn häufig um solche Zusatztermine bittet oder diese unumgänglich erscheinen, sollte die TherapeutIn überprüfen, ob die KlientIn die vereinbarte Sitzungsfrequenz als für ihre Bedürfnisse angemessen empfindet. Wie in jedem anderen Fall, wenn die TherapeutIn auf die besonderen Wünsche und Bedürfnisse der KlientIn eingeht, sollte die TherapeutIn diese Anfragen im Hinblick auf unbewußte Wünsche der KlientIn nach Reparenting oder andere emotionale Gratifikation durch die TherapeutIn genauer betrachten. Wiederholte Krisen können auch die zu diesem Zeitpunkt möglicherweise vorhandene Schwierigkeit der KlientIn widerspiegeln, außerhalb eines stationären oder teilstationären Settings im Alltag überleben zu können.

I. Körperkontakt

Körperkontakt mit einer KlientIn ist nicht grundsätzlich eine empfehlenswerte Behandlungstechnik. Generell sollte die TherapeutIn die Bedeutung der Bitte der KlientIn nach Umarmungen, Handhalten und so weiter explorieren, statt diese Bitten ohne sorgfältige Überlegung zu erfüllen. Simuliertes Stillen oder Fläschchen geben sind unangemessene regressive Techniken, die in der Psychotherapie bei DIS keine Rolle spielen sollten. Manche TherapeutInnen sind der Ansicht, daß es bei manchen KlientInnen während geplanter Abreaktionen hilfreich sein kann, ihre Hand zu halten oder ihr die Hand auf den Arm zu legen, um sie in der gegenwärtigen Alltagsrealität zu verankern. Andere TherapeutInnen haben das Gefühl, daß KlientInnen solchen Kontakt falsch interpretieren könnten und vermeiden ihn daher. Manche KlientInnen möchten gerne Massagen erhalten oder Körperarbeit machen; die Risiken und das Timing solcher Körperarbeit solte mit der KlientIn und den entsprechend ausgebildeten TherapeutInnen sorgfältig besprochen werden.

Sexuelle Kontakte mit einer KlientIn sind niemals angemessen oder ethisch vertretbar; sie widersprechen auch den ethischen und rechtlichen Standards der Berufsstände im Gesundheitssystem. Da DIS-KlientInnen eine relativ hohe Vulnerabilität für sexuelle Ausbeutung haben und aufgrund der Intensität der therapeutischen Interaktionen zwischen den DIS-KlientInnen und ihrem / ihrer TherapeutIn wäre auch jeder sexuelle Kontakt mit einer ehemaligen DIS-KlientIn mit großer Wahrscheinlichkeit ausbeuterisch und ist daher unzulässig.

J. Zwangsmaßnahmen zur Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit

Hinsichtlich der freiwilligen körperlichen Einschränkung der Bewegungsfreiheit während der DIS-Therapie gehen die Meinungen auseinander. Manche halten diese Technik (Festhalten oder Festbinden der KlientIn mit ihrem, vorher eingeholten, Einverständnis während bestimmter Therapiesitzungen) für eine hilfreiche letzte Möglichkeit, wenn körperlich aggressive oder selbstzerstörerische Persönlichkeitsanteile ansonsten nicht in der Lage wären, an der Therapie teilzunehmen. Andere sind der Überzeugung, daß jede, auch eine freiwillige, Einschränkung der Bewegungsfreiheit unangemessen ist, und daß verbale Techniken genügen, um alle Persönlichkeitsanteile an der Therapie teilnehmen zu lassen. Wenn Einschränkungen der Bewegungsfreiheit der KlientIn häufig und mit großer Frequenz und / oder für längere Zeiträume angewandt werden, sollte die TherapeutIn die Fortschritte in der Therapie und die Dynamik der KlientIn-TherapeutIn-Beziehung genauer analysieren.

Im stationären Setting können die geschlossene Unterbringung und die Einschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit dann indiziert sein, wenn die DIS-KlientIn gewalttätig agiert und nicht auf verbale oder pharmakologische Interventionen reagiert. Diese Behandlungsmodalitäten sollten immer in Übereinstimmung mit legalen und ethischen Standards durchgeführt und dabei bedacht werden, daß sie retraumatisierend wirken können. (Anm. der Übersetzerin: Der letzte Halbsatz wurde hinzugefügt.)

K. Hypnotherapie

DIS-ExpertInnen stimmen allgemein darin überein, daß hypnotische Techniken sinnvoll im Krisenmanagement eingesetzt werden können, um KlientInnen dabei zu helfen, spontane Flashbacks zu beenden und sich wieder in der äußeren Welt zu reorientieren, wenn diese Zustände außerhalb therapeutischer Sitzungen aufgetreten sind. Hypnotische Techniken sind außerdem sinnvoll zur Ichstärkung und für die Unterstützung der DIS-KlientIn während Krisensituationen und um ihr zu helfen, zwischen den Sitzungen, in denen sie traumatisches Material erinnert oder darüber spricht, stabil zu bleiben. Andere häufig beschriebene Anwendungen von Hypnose beinhalten ihre Rolle als Hilfsmittel beim sicheren Ausdruck von Gefühlen (z.B. die „stille Abreaktion“ zur Entlastung von Wut), bei kognitiven Übungen und der Entwicklung von Fähigkeiten auf der Basis innerer Ressourcen, (Anm. der Übersetzerin: „auf der Basis innerer Ressourcen“ wurde hinzugefügt.), Erleichterung von somatischen Bestandteilen traumatischen Materials und zu Integrationsritualen (wenn vorherige psychotherapeutische Arbeit dazu geführt hat, daß eine bestimmte Getrenntheit keine wesentliche Funktion für die intrapsychische und Umwelt-Adaptation der KlientIn mehr hat, und wenn die KlientIn nicht länger narzißtisch in die Aufrechterhaltung dieser Getrenntheit investiert). In der Klinik kann das Pflegepersonal dazu ausgebildet werden, die KlientIn zu beruhigen, wenn gewalttätiges Verhalten droht oder gezeigt wird; formelle Hypnose jedoch wird dabei in der Regel nicht angewendet, es sei denn, die Mitglieder des Pflegepersonals sind hierfür ausgebildet und von der Klinik beauftragt (Kluft, 1992). Wenn diese Techniken angewendet werden, wird die KlientIn im allgemeinen vorher darüber informiert, und die Interventionen werden zu einem Bestandteil des Behandlungsplanes.

Unterschiedliche Meinungen bestehen hinsichtlich der Rolle von Hypnose bei der laufenden Psychotherapie. Manche glauben, daß hypnotische Techniken sinnvoll sind, um die Kommunikation zwischen alternierenden Persönlichkeitsanteilen zu fördern oder Persönlichkeitsanteile («alters») dazu zu ermutigen, mit der TherapeutIn zu kommunizieren. Manche glauben, daß hypnotische Techniken sinnvoll sind, um traumatisches Material zu prozessieren; andere sind der Überzeugung, daß hypnosegestütztes Prozessieren von Erinnerungen die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß KlientInnen fälschlich Phantasien für wahre Erinnerungen halten. Die TherapeutIn muß sich darüber im klaren sein, daß Trancezustände, von der TherapeutIn induziert, bei der KlientIn zu einem ungerechtfertigten Ausamß an Vertrauen in die Korrektheit der Details des hypnotisch erhaltenen Materials führen kann. Entsprechend sollte die TherapeutIn leitendes oder suggestives Fragen auf ein Minimum beschränken, da dies sonst in manchen Fällen die Details dessen, was unter Hypnose erinnert wurde, verändern kann.

Die therapeutische Anwendung von Hypnose sollte nur mit entsprechender Einwilligung der KlientIn durchgeführt werden, die zuvor über Nutzen, Risiken und Grenzen dieser Methode informiert wurde.

L. Wahrheit der Erinnerungen an sexuelle Mißhandlungen in der Kindheit

Häufig berichten DIS-KlientInnen von einer Geschichte schwerer und langjähriger Mißhandlungen in der Kindheit, einschließlich sexueller Mißhandlungen, beginnend in der Kindheit. Viele DIS-KlientInnen haben bereits zu Beginn der Therapie eine kontinuierliche Erinnerung an manche Mißbrauchserfahrungen in der Kindheit (Barach, 1996; Ross et al., 1990). Zusätzlich erinnern die meisten weitere vorher unbekannte Mißhandlungsereignisse, wobei die Erinnerungen sowohl in den Therapiesitzungen als auch außerhalb auftreten, manchmal auch vor dem Beginn der Psychotherapie. Eine Diskussion dieser Erinnerungen und ihrer Beziehung zu gegenwärtigen Überzeugungen und Verhaltensweisen ist ein zentraler Aspekt der DIS-Behandlung.

KlinikerInnen und ForscherInnen haben eine Reihe von Stellungnahmen abgegeben, was die Aufdeckung von Erinnerungen an (sexuelle) Mißbrauchserfahrungen anbetrifft (American Psychiatric Assoziation, 1993; Australian Psychological Society Limited Board of Directors, 1994; Working Group on Investigation of Memories of Childhood Abuse, 1996; Working Party, 1995). All diese Stellungnahmen kamen zu dem Schluß, daß es möglich ist, daß korrekte Erinnerungen an (sexuelle) Mißhandlungen lange Zeit vergessen werden und sehr viel später im Leben erst wieder erinnert werden können. Sie weisen ebenfalls auf die Möglichkeit hin, daß manche Menschen Pseudo-Erinnerungen konstruieren, und daß TherapeutInnen das Ausmaß, in dem die Erinnerungen einer Person zutreffend sind, in Abwesenheit äußerer Beweise dafür nicht einschätzen können. Die Erinnerungen der KlientIn hinsichtlich ihrer Erfahrungen, als Kind mißhandelt worden zu sein, können ebenso wie ihre Erinnerungen an andere Erfahrungen Wahrheit und Phantasie, konfabulierte Details und Kondensierung verschiedener Ereignisse vermischen. Es ist nicht hilfreich für die Therapie, wenn die TherapeutIn der KlientIn sagt, daß ihre Erinnerungen falsch sind. Umgekehrt ist es auch nicht hilfreich für die Therapie, wenn die TherapeutIn der KlientIn erzählt, daß ihre Erinnerungen auf jeden Fall wahr sind und die KlientIn sei glauben müsse. Eine respektvolle neutrale Einstellung auf seiten der TherapeutIn, gepaart mit großer Sorgfalt, um suggestive und leitende Interview-Techniken zu vermeiden, scheinen den KlientIn die größtmögliche Freiheit zu geben, ihre eigenen Erinnerungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu bewerten.

Es gibt eine Divergenz an Meinungen im Fachgebiet hinsichtlich des Ursprungs von KlientInnen-Berichten über bizarre Mißbrauchserfahrungen. Manche glauben, diese Berichte könnten das Ergebnis extrem sadistischer Mißhandlungserlebnisse in der Kindheit sein, möglicherweise teilweise verzerrt durch das frühe Alter und den traumatisierten Zustand zum Zeitpunkt der Mißhandlungen. Andere glauben an alternative Erklärungen, um diese Berichte von KlientIn zu erklären. TherapeutInnen, die extreme Positionen auf der einen oder anderen Seite während der Therapie einnehmen, können möglicherweise die Wahrscheinlichkeit des Fortschritts der KlientIn hinsichtlich der Klärung der historischen Wahrheit solcher Erinnerungen behindern.

M. Umgang mit traumatischen Erinnerungen (Abreaktionen)

Erinnerungen an Traumatisierungen können spontan an die Oberfläche kommen, oder ihr Prozessieren kann geplant werden. Zwar kommen in der Behandlung von DIS-KlientInnen beide Arten vor, doch ist die Anwendung geplanter Prozessierungs-Methoden für Traumaerinnerungen (Abreaktionen) eine wertvolle Behandlungstechnik für viele KlientInnen und kein eigener Therapieansatz. Es hilft der KlientIn, wenn die TherapeutIn sie darin unterstützt, Techniken anzuwenden, die Planungs-, Informations-, Explorations- und Dosierungs-Strategien fördern, um ein Gefühl der Kontrolle über das Auftreten von Traumaerinnerungen zu bekommen. Wenn KlientInnen spontane Intrusionen traumatischen Bildmaterials erleben, nützen ihnen oft solche Lernstrategien, welche ihnen helfen, das Eindringen und die Auswirkungen traumatischen Materials in ihre Alltagsfunktionen aufzuschieben oder zu kontrollieren. Manche KlientInnen entwickeln solche Kontrolle schneller als andere.

In der DIS-Behandlung erfahrene KlinikerInnen stimmen darin überein, daß die therapeutische Bearbeitung der Traumaerinnerungen ein wesentlicher Bestandteil der Lösung der dissoziativen Störung darstellt. Traumatisches Material zu ignorieren, bringt es keineswegs zum „Verschwinden“, auch wenn das Timing und die Art der therapeutischen Bearbeitung dieses Materials entsprechend den Bedürfnissen und Möglichkeiten der jeweiligen KlientIn variieren kann.

Viele TherapeutInnen sind der Überzeugung, daß gelegentlich (im Vergleich zu der normalen Sitzungsdauer) ausgedehntere, vorher geplante Sitzungen, in denen Traumamaterial prozessiert wird, bei der Behandlung mancher KlientIn von entscheidender Bedeutung sind. Manchmal wird eine solche Sitzung unvermeidbar über das geplante Sitzungsende hinausgehen, doch die TherapeutIn sollte versuchen, dies so selten wie möglich zu tun. Die TherapeutIn muß versuchen, der KlientIn dabei zu helfen, sich wieder in der äußeren Realität zu orientieren und das Prozessieren von Traumaerinnerungen zu beenden, bevor die Therapiesitzung zuende ist, doch sie kann die Fähigkeit der KlientIn, sich in der Gegenwart zu reorientieren, nur beeinflussen, nicht aber kontrollieren.

N. Nonverbale zusätzliche Therapieansätze

Wie andere Überlebende von Traumatisierungen in der Kindheit sprechen DIS-KlientInnen häufig in einzigartiger Weise auf nonverbale Therapieansätze an. Kunsttherapie, Beschäftigungstherapie und Spieltherapie, Bewegungstherapie und angeleitete Freizeit- und Erholungsmaßnahmen haben sich, Berichten zufolge, als hilfreich erwiesen, um Behandlungsziele einschließlich der Integration zu erreichen. Nonverbale Therapiemethoden müssen von entsprechend ausgebildeten Personen durchgeführt, zeitlich abgestimmt und in den allgemeinen Behandlungsplan gut integriert sein. Viele PsychotherapeutInnen halten nonverbale Techniken (wie das Zeichnen und Malen sowie Tagebuchschreiben der KlientIn) für wertvolle Bestandteile der laufenden Psychotherapie.

O. Bezahlung

In Übereinstimmung mit der KlientIn sollten die TherapeutInnen die Bezahlungsmodalitäten entsprechend der geltenden (Kassen-)rechtlichen und ethischen Standards ihres Berufstandes regeln.

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