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FOR THE STUDY OF DISSOCIATION
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ISSD-D

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ISSD-D - Behandlungsrichtlinien


ISSD-Richtlinien für die Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung (Multiple Persönlichkeitsstörung) bei Erwachsenen
Neufassung 1997

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III. Ein Überblick über die Psychotherapie bei DIS - Teil 1

weiter -> III. Ein Überblick über die Psychotherapie bei DIS - Teil 2

Teil I

A. Integration ist ein generelles Behandlungsziel.

Die DIS-KlientIn ist eine einzige Person, die sich selbst so erlebt, als seien verschiedene Persönlichkeitsanteile von ihr mit einer gewissen Autonomie ausgestattet. Die KlientIn ist jedoch keine Ansammlung aus unterschiedlichen Leuten, die denselben Körper teilen. Die Begriffe «Persönlichkeit» und «alter» (Abkürzungen für alternativer Persönlichkeitsanteil) oder «Innenperson» beziehen sich auf dissoziierte Teile der Psyche, die alternierend das Verhalten der DIS-KlientIn beeinflussen. Manche TherapeutIn bevorzugt hierfür auch den Begriff «Persönlichkeitsanteil» oder «Teil des Selbst».

Wo immer möglich, sollte die Behandlung der KlientIn dazu verhelfen, ein zunehmendes Gefühl für ein integriertes, alltagstaugliches Selbst zu erhalten. Obwohl die TherapeutIn die Persönlichkeitsanteile häufig anspricht, als seien sie getrennt, ist es Aufgabe der therapeutischen Arbeit, ein zunehmendes Gefühl innerer Verbundenheit und innerer Beziehung zwischen den alternierenden Persönlichkeitszuständen oder -anteilen zu fördern. Es ist also kontraproduktiv, die KlientIn dazu zu drängen, daß die zusätzliche alters (Innenpersonen) abspaltet, alternierende Personalitäten zu drängen, Namen anzunehmen, wenn sie vorher keine hatten und unterschiedliche Persönlichkeitsanteile dazu zu drängen, immer elaborierter und autonomer zu werden, als sie bereits in der KlientIn funktionieren. Es ist ebenfalls kontraproduktiv, die KlientIn dazu zu ermutigen, einzelne Persönlichkeitsanteile zu ignorieren oder zu versuchen, sie loszuwerden. Auch sollte die TherapeutIn keine „Lieblinge“ unter den alternierenden Persönlichkeitsanteilen favorisieren oder zerstörerische oder unliebsame Innenpersonen von der Therapie ausschließen, auch wenn solche Schritte manchmal zeitweise in einigen Stadien der Behandlung bei manchen KlientInnen erforderlich erscheinen mögen.

Und schließlich: Die DIS-KlientIn ist eine ganzheitliche Persönlichkeit. Die alternierenden Persönlichkeitsanteile erwachsener KlientInnen teilen sich die Verantwortung für ihr Leben, so wie es jetzt ist. Im psychotherapeutischen Setting sollten die TherapeutInnen, die mit DIS-KlientInnen arbeiten, generell die gesamte Persönlichkeit für das Verhalten aller Persönlichkeitsanteile als verantwortlich ansehen.

B. Rahmenbedingungen für ambulante Behandlung

Die optimale wesentliche Behandlungsmodalität für DIS ist im allgemeinen die Einzelpsychotherapie. Die TherapeutIn sollte einen Behandlungsplan im Kopf haben und ihn mit der KlientIn gemeinsam entwerfen und durchführen, wobei deren Gefühle und Präferenzen im Mittelpunkt stehen sollten (Anm. der Übersetzerin: Hierin liegt eine Abweichung zu dem, was die amerikanischen ISSD-Richtlinien formulieren. Hier heißt es an der entsprechenden Stelle: „Zwar sollten die Gefühle und Präferenzen der PatientIn exploriert werden, während der Behandlungsplan entworfen und eingeführt wird, doch die TherapeutIn, nicht die PatientIn, sollte die primäre ArchitektIn des Behandlungsplanes sein.“). Die Mindestzahl wöchentlicher Sitzungen sollte den funktionellen Status und die Stabilität der KlientIn widerspiegeln. Das Minimum an empfohlener wöchentlicher Frequenz für die durchschnittliche DIS-KlientIn mit einer TherapeutIn von durchschnittlichen Fähigkeiten und Erfahrungen ist zweimal in der Woche. Manche Therapien können, besonders bei KlientInnen mit hoher Motivation und Stärke, auf der Basis von einer Sitzung pro Woche durchgeführt werden, wobei die Sitzung entweder eine Therapiestunde oder eine Doppelstunde umfaßt, auf jeden Fall aber in einem klar definierten zeitlichen Rahmen (Anm. der Übersetzerin: Der Zusatz „Doppelstunde, auf jeden Fall aber in einem klar definierten zeitlichen Rahmen“ ist eine abgewandelte Ergänzung des amerikanischen Originals, hier heißt es: „eine verlängerte Sitzung“.) durchgeführt werden. Manche TherapeutInnen mit beträchtlichen Fähigkeiten und Erfahrungen sind in der Lage, viele solcher KlientInnen in jeweils einmal die Woche stattfindenden Psychotherapiesitzungen zu behandeln. Manchen KlientInnen hilft eine höhere Frequenz gut geplanter Sitzungen (bis zu drei pro Woche) dabei, das höchstmögliche Niveau an Funktionsfähigkeit zu erreichen und (als Alternative zur Hospitalisierung) zerstörerisches Verhalten aufzufangen. Für KlientInnen, die gerade aus stationärer Behandlung entlassen wurden, kann manchmal eine Periode von Sitzungen höherer Frequenz hilfreich sein, um sich von der hohen Frequenz von Sitzungen, die in manchen stationären Programmen geboten werden, auf die ambulante Psychotherapie umzustellen. Falls mehr als drei Sitzungen pro Woche regelmäßig durchgeführt werden, sollte die TherapeutIn sich des Risikos bewußt sein, regressive Abhängigkeit der KlientIn von der TherapeutIn zu fördern.

„Marathonsitzungen“, d.h. Sitzungen, die länger als 100 Minuten dauern (Anm. der Übersetzerin: Im US-Original steht hier: „90 Minuten“. Da viele TherapeutInnen in der BRD Doppelstunden durchführen, und eine Therapiestunde bei 50 Minuten angesetzt wird, wurde die Zahl „100 Minuten“ gewählt.) sollten, wenn sie überhaupt stattfinden, klar geplant, strukturiert und fokussiert sein, z.B. auf ein Hypnose-gestütztes Prozessieren traumatischer Erinnerungen oder die Anwendung umfangreicherer Diagnoseverfahren. Längere Sitzungen werden auch gelegentlich durchgeführt, um Struktur und Unterstützung zu geben, wenn schwieriges Material behandelt wird. Sie können auch indiziert wein, wenn die Logistik die KlientIn zwingt, in unregelmäßigen Abständen zur Therapie zu kommen, sie aber dort intensiv arbeiten möchte.

Die Meinungen über die Länge der Behandlung gehen auseinander. Frühere Berichte über Behandlungsergebnisse ließen darauf schließen, daß nach zwei bis drei Jahren intensiver ambulanter Psychotherapie die KlientInnen eine relativ stabile psychische Kondition erreichten, bei der sie kein Gefühl der inneren Getrenntheit mehr hatten. Doch heutzutage betrachten die meisten TherapeutInnen eine Mindestlänge von drei bis fünf Jahren nach der Diagnose von DIS als die Norm, wobei viele der komplexeren KlientInnen sechs oder mehr Jahre ambulanter Psychotherapie benötigen, häufig mit kurzen stationären Aufenthalten in Krisenzeiten. Die Behandlungslänge variiert mit der Komplexität der dissoziativen Störung, wird gewöhnlich länger bei schweren Störungen auf dem Achse II-Niveau oder anderen bedeutsamen comorbiden seelischen Störungen.

Die am häufigsten in der Fachliteratur zitierte Behandlungsorientierung ist tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die häufig eklektisch andere Techniken mit verwendet (Putnam & Loewenstein, 1993). So können zum Beispiel kognitive Therapietechniken aus der Verhaltenstherapie modifiziert werden, um der KlientIn dabei zu helfen, dysfunktionale, traumabedingte Überzeugungssysteme zu explorieren und zu verändern; doch Standardverfahren kognitiver Therapieprotokolle für Depressionen und ängste müssen im allgemeinen modifiziert werden, wenn sie in der Behandlung der DIS verwendet werden sollen. Die meisten TherapeutInnen setzen Hypnose als eine Behandlungsmodalität bei DIS ein (Putnam und Loewenstein, 1993). Hypnose wird nicht bei der Diagnosestellung eingesetzt (Anm. Der Übersetzerin: Dies fehlt im amerikanischen Original.), sondern meist zum Zwecke der Beruhigung, Tröstung, Distanzierung (Anm. der Übersetzerin: „Distanzierung“ fehlt im Original), für Containment-Techniken und Ichstärkung.

Verhaltensanalyse oder operantes Konditionieren hat sich nicht als optimale primäre Behandlungsmodalität bei DIS erwiesen. Von aversiver Konditionierung wird abgeraten, da die therapeutische Beziehung und das Behandlungsverfahren unbewußt an Mißhandlungserfahrungen erinnern können. Jedoch können Verhaltensmodifikations-Techniken sinnvoll sein, um der KlientIn dabei zu helfen, Selbstkontroll-Techniken zum Symptom-Management zu entwickeln.

C. Stationäre Behandlung

Es gibt eine allgemeine Übereinstimmung dahingehend, daß stationäre Behandlung bei DIS dem Erreichen spezifischer therapeutischer Ziele dienen sollte. Die Behandlung sollte im Kontext einer zielorientierten Strategie eingesetzt werden, um den KlientInnen zu einem stabilen Niveau an Alltagsfunktionen zu verhelfen, damit sie die ambulante Therapie so bald wie möglich wiederaufnehmen können. Dies gilt ebenso für den Fall, daß die Hospitalisierung akut oder geplant, auf einer spezialisierten Traumastation oder in einem psychiatrischen Allgemeinkrankenhaus stattfindet. Man sollte sich bemühen, herauszufinden, welche Faktoren die DIS-KlientIn destabilisiert haben oder sie zu destabilisieren drohen, und festzulegen, was getan werden muß, um die Auswirkungen der (drohenden) Destabilisierung so gering wie möglich zu halten. Optimalerweise sollten diese Interventionen vor dem oder zu Beginn des Klinikaufenthalts geplant und mit der KlientIn vereinbart werden, doch manchmal scheint das nicht möglich zu sein. Häufige Themen der stationären Therapie sind: Geplantes Prozessieren von Traumaerinnerungen („geplante Abreaktion“ oder „Traumasynthese“ genannt), die Konfrontation mit traumatischem Material in der beschützenden Struktur einer Klinikumgebung, die Arbeit mit aggressiven und selbstzerstörerischen Persönlichkeitsanteilen und ihrem Verhalten.

Konsens besteht über folgende Erfahrungen im stationären Setting bei DIS-KlientInnen: Dekompensation oder mangelnde Verbesserung können unter gewissen Umständen während der und durch die Hospitalisierung vorkommen; DIS-KlientInnen benötigen häufig aufgrund wiederkehrender psychischer Störungen Klinikaufenthalte, etwa wegen einer Episode von Major Depression oder Anorexia Nervosa; eine kleine Minderheit der DIS-KlientInnen, etwa wenn sie massiv dekompensiert und dysfunktional sind, oder wenn sie destabilisiert werden durch fortgesetzte Traumatisierungen, benötigt unter Umständen eine längere statonäre Behandlung, um stabiler zu werden. Faktoren der Behandlung selbst, die eine Verbesserung der Stabilität der KlientIn behindern können, sind unter anderem: nicht-fokussierte stationäre Behandlung; globale und unrealistische Therapieziele wie etwa „alle Erinnerungen zutage zu fördern“; ein ausschließlicher Focus auf frühere Traumatisierungen unter Ausschluß gegenwärtiger Lebensbedingungen der KlientIn; oder ein Drängen auf rasche Integration zu einem frühen Therapiezeitpunkt.

Ob kurze Therapieaufenthalte weniger wahrscheinlich mit regressiver Abhängigkeit verbunden sind als längere Aufenthalte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Manchmal stellte sich heraus, daß lange Klinikaufenthalte zu Regressionen führten; in anderen Fällen scheint es, als ob der Druck, Klinikaufenthalte kurz zu halten, dazu führt, daß die KlientInnen in einem unzureichend stabilisierten Zustand entlassen wurden und daher ein höheres Risiko hatten, wieder hospitalisiert zu werden oder unnötiges Leid durchmachen zu müssen. Unabhängig von der Länge der Hospitalisierung sollte die TherapeutIn eine Haltung einnehmen, die Fortschritt und Unabhängigkeit auf seiten der KlientIn fördert.

Es besteht allgemein Übereinstimmung dahingehend, daß die KlientIn während des Klinikaufenthaltes darauf vorbereitet werden sollte, die therapeutische Arbeit, einschließlich gegebenenfalls des Prozessierens traumatischer Erinnerungen, auf der Basis einer ambulanten Psychotherapie weiterzuführen. Es gibt auch eine Übereinstimmung dahingehend, daß für manche von ihren Erinnerungen bzw. Symptomen überwältigte KlientInnen - und für viele KlientInnen unter jeweils ganz spezifischen Lebensumständen - die Struktur und Sicherheit eines Kliniksettings therapeutische Arbeit ermöglicht, die im ambulanten Setting unmöglich oder möglicherweise destabilisierend wäre.

D. Gruppentherapie

Hinsichtlich der Rolle von Gruppentherapie in der Behandlung von DIS gehen die Meinungen auseinander. Im allgemeinen wird sie nicht als unerläßliche, primäre Behandlungsmodalität für DIS betrachtet. Manche sind der Überzeugung, daß zeitlich begrenzte Gruppentherapie eine sinnvolle Ergänzung zu Einzelpsychotherapie sein kann, um in der KlientIn ein Gefühl dafür zu fördern, daß sie oder er nicht allein damit ist, mit dissoziativen Symptomen und traumatischen Erinnerungen fertig werden zu müssen. Sorgfältig strukturierte Gruppen mit einem hohen Schlüssel an Betreuungspersonen, einem klaren Focus und klaren zeitlichen Rahmenbedingungen scheinen indiziert zu sein. Manche KollegInnen haben festgestellt, daß therapeutische Gruppensitzungen mit offenem Ende eher das Ausagieren unter den Gruppenmitgliedern fördern und nicht zu einem positiven Ergebnis führen. Andere KollegInnen berichten, daß solche Gruppen sich in Ergänzung zu Einzelpsychotherapie als hilfreich erwiesen haben, besonders wenn die LeiterIn klare Erwartungen äußert hinsichtlich solcher Bereiche wie Kontakt der Gruppenmitglieder zwischen den Sitzungen und therapeutische Grenzen (siehe Anhang I). Manche KlientInnen nutzen 12-Schritte-Gruppen effektiv als Ergänzung zur Einzeltherapie. Marathon-Gruppensitzungen (d.h. länger als zwei oder zweieinhalb Stunden) können sich für manche DIS-KlientInnen als destabilisierend erweisen.

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