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ISSD-D

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ISSD-D - Definitionen
- ICD-10 Kapitel V (F)


F44.0 dissoziative Amnesie

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Das wichtigste Kennzeichen ist der Erinnerungsverlust für meist wichtige, kurz zurück liegende Ereignisse, der nicht durch organische psychische Störungen bedingt und zu schwerwiegend ist, um durch übliche Vergeßlichkeit oder Ermüdung erklärt werden zu können. Die Amnesie zentriert sich gewöhnlich auf traumatische Ereignisse wie Unfälle oder unerwartete Trauerfälle und ist in der Regel unvollständig und selektiv. Ausmaß und Vollständigkeit der Amnesie variieren häufig von Tag zu Tag und bei verschiedenen Untersuchern. Es läßt sich aber ein beständiger Kern feststellen, der im Wachzustand nicht aufgehellt werden kann. Eine vollständige und generalisierte Amnesie ist selten, dann gewöhnlich Teil einer Fugue (F44.1) und ist dann als solche zu klassifizieren.

Die affektiven Erscheinungsbilder in Verbindung mit einer Amnesie sind unterschiedlich, eine schwere Depression ist jedoch selten. Ratlosigkeit, Gequältsein und aufmerksamkeitsuchendes Verhalten unterschiedlichen Ausmaßes, aber auch ruhiges Annehmen können vorkommen. Junge Erwachsene sind am häufigsten betroffen. Die schwersten Fälle treten bei Männern auf, die unter der Belastung von Kampfhandlungen stehen. Psychogene dissoziative Zustände sind bei Älteren selten. Zielloses Umherwandern kann auftreten; es geht in der Regel mit persönlicher Vernachlässigung einher und dauert selten länger als ein oder zwei Tage.

Diagnostische Leitlinien:

  1. Partielle oder vollständige Amnesie für kürzliche traumatisierende oder belastende Ereignisse (diese Aspekte werden unter Umständen nur durch fremdanamnestische Angaben bekannt);
  2. Fehlen von hirnorganischen Störungen, Intoxikation oder extremer Erschöpfung.

Differentialdiagnose:

Bei organisch bedingten psychischen Störungen finden sich in der Regel auch andere Störungen des Nervensystems und deutlich erkennbare beständige Symptome von Bewußtseinstrübung, Desorientiertheit und fluktuierender Bewußtseinsklarheit. Ein Verlust des Kurzzeitgedächtnisses ist typischer für organisch bedingte Störungen, unabhängig von möglichen traumatischen Ereignissen oder Problemen. «Black outs» nach Alkohol- oder Drogenkonsum sind zeitlich eng mit dem Mißbrauch verbunden, und die verlorenen Erinnerungen können niemals wiedergewonnen werden. Ein Verlust des Kurzzeitgedächtnisses wie beim amnestischen Syndrom (Korsakow-Syndrom), bei dem die unmittelbare Wiedergabe normal, die Wiedererinnerung aber schon nach 2 oder 3 Minuten nicht mehr möglich ist, findet sich bei der dissoziativen Amnesie nicht.

Eine Amnesie nach Commotio cerebri oder schwerem Schädeltrauma ist meistens retrograd, obwohl in schweren Fällen auch eine anterograde Amnesie auftreten kann; eine dissoziative Amnesie ist überwiegend retrograd. Nur die dissoziative Amnesie kann durch Hypnose oder Abreaktion verändert werden. Postiktale Amnesien bei Epileptikern und andere stuporöse oder mutistische Zustände, die gelegentlich bei Schizophrenen oder Depressiven vorkommen, können im allgemeinen durch andere Charakteristika der zugrundeliegenden Krankheit differenziert werden.

Am schwierigsten ist es, eine bewußte Simulation der Amnesie auszuschließen; eine wiederholte und genaue Untersuchung der prämorbiden Persönlichkeit und einer möglichen Motivation ist notwendig. Eine bewußt simulierte Amnesie hängt gewöhnlich mit offensichtlichen finanziellen Problemen, Lebensgefahr in Kriegszeiten oder drohender Todes- oder Gefängnisstrafe zusammen.

Ausschluß:

  • amnestisches Syndrom, durch Alkohol oder sonstige psychotrope Substanzen bedingt (F10.6 - F19.6)
  • anterograde Amnesie (R41.1)
  • nicht näher bezeichnete Amnesie (R41.3)
  • nichtalkoholbedingtes organisches amnestisches Syndrom (F04)
  • postiktale Amnesie bei Epilepsie (G40.)
  • retrograde Amnesie (R41.2)

Forschungskriterien

  1. Die allgemeinen Kriterien für eine dissoziative Störung (F44) müssen erfüllt sein.
  2. Entweder eine teilweise oder vollständige Amnesie für vergangene Ereignisse oder Probleme, die traumatisch oder belastend waren oder noch sind.
  3. Die Amnesie ist zu ausgeprägt und zu lang anhaltend, um mit einer normalen Vergeßlichkeit oder durch eine gewollte Simulation erklärt werden zu können (die Schwere und das Ausmaß der Amnesie können allerdings von einer Untersuchung zur anderen wechseln).

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