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300.14 (F44.81) Dissoziative ldentitätsstörung
(vormals Multiple Persönlichkeitsstörung)

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Diagnostische Merkmale

Das Hauptmerkmal der Dissoziativen ldentitätsstörung ist das Vorhandensein von zwei oder mehr unterscheidbaren Identitäten oder Persönlichkeitszuständen (Kriterium A),

die wiederholt die Kontrolle über das Verhalten der Person übernehmen (Kriterium B).

Es besteht eine Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern; diese ist zu umfassend, um durch gewöhnliche Vergeßlichkeit erklärt zu werden (Kriterium C).

Die Störung geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück (Kriterium D).

Bei Kindern können die Symptome nicht durch imaginierte Spielkameraden oder andere Phantasiespiele erklärt werden.

Die Dissoziative Identitätsstörung spiegelt die Unfähigkeit wider verschiedene Aspekte der Identität des Gedächtnisses und des Bewußtseins zu integrieren Jeder der Persönlichkeitszustände kann eine unterschiedliche persönliche Geschichte ein unterschiedliches Selbstbild und eine unterscheidbare Identität mit verschiedenen Namen haben. Gewöhnlich existiert eine primäre Identität, die den Namen der Person trägt. Diese ist in der Regel passiv abhängig, hat Schuldgefühle und ist depressiv. Die wechselnden Identitäten haben häufig verschiedene Namen und Charaktereigenschaften, die im Gegensatz zur primären Identität stehen (z. B. sind sie feindselig, kontrollierend und selbstzerstörerisch). Einzelne Identitäten können unter speziellen Umständen auftauchen und sich im berichteten Alter, Geschlecht, der Sprache, dem Allgemeinwissen oder dem vorherrschenden Affekt unterscheiden. Wechselnde Identitäten werden so erlebt, als ob sie für bestimmte Abschnitte auf Kosten der anderen die Kontrolle übernehmen; sie können das Wissen über die anderen leugnen, diesen gegenüber sehr kritisch sein oder sogar im offenen Konflikt mit ihnen stehen. Gelegentlich weisen eine oder mehrere mächtige Identitäten den anderen Zeit zu. Aggressive oder feindselige Identitäten können zeitweise Aktivitäten unterbrechen oder die anderen in unangenehme Situationen bringen.

Personen mit dieser Störung haben häufig Lücken in der Erinnerung der persönlichen Geschichte, sowohl für frühere wie aktuellere Ereignisse. Die Amnesie ist häufig ungleichmäßig. Die passiveren Identitäten haben eine eher eingeschränkte Erinnerung, während die feindseligeren, kontrollierenden oder "Beschützer"-Identitäten vollständigere Erinnerungen aufweisen. Es ist möglich, daß eine Identität, die gerade keine Kontrolle ausübt, versucht, durch die Produktion akustischer oder visueller Halluzinationen einen Zugang zum Bewußtsein zu erlangen (z. B. eine Stimme, die Instruktionen gibt). Beweise für Amnesie können auch durch Berichte von anderen aufgedeckt werden, die Verhalten bemerken, das von der Person geleugnet wird (z.B. das Finden von Kleidungsstücken zu Hause, ohne daß die Person sich erinnern kann, diese gekauft zu haben). Es kann nicht nur zu einem Gedächtnisverlust für immer wiederkehrende Zeitabschnitte kommen, sondern auch zu einem gesamten Verlust der biographischen Erinnerung an einen umfassenden Zeitraum in der Kindheit. Die Übergänge zwischen den Identitäten werden häufig durch psychosoziale Belastungen ausgelöst. Es dauert gewöhnlich nur Sekunden, um von einer Identität zur anderen zu wechseln; seltener kann dieser Übergang auch graduell vonstatten gehen. Die Anzahl der berichteten Identitäten kann von 2 bis mehr als 100 reichen. Die Hälfte der berichteten Fälle beziehen sich auf Personen mit 10 oder weniger Identitäten.

Zugehörige Merkmale und Störungen

Zugehörige Beschreibungsmerkmale und psychische Störungen. Personen mit einer Dissoziativen Identitätsstörung berichten häufig über die Erfahrung schweren körperlichen und sexuellen Mißbrauchs vor allem während der Kindheit. Über die Genauigkeit solcher Berichte herrschen kontroverse Meinungen, da Kindheitserinnerungen Verzerrungen unterliegen und Personen mit dieser Störung die Tendenz zu hoher Hypnotisierbarkeit haben und sehr empfänglich gegenüber Suggestionen sind. Auf der anderen Seite neigen die Verantwortlichen für den körperlichen oder sexuellen Mißbrauch dazu, ihr Verhalten zu leugnen oder zu vertuschen. Personen mit einer Dissoziativen Identitätsstörung können posttraumatische Symptome haben (z. B. Alpträume, flashbacks und Alarmreaktionen) oder eine Posttraumatische Belastungsstörung aufweisen. Es kann zu Selbstverletzungen sowie suizidalem und aggressivem Verhalten kommen. Einige Personen erleben ein sich wiederholendes Muster von Beziehungen, in denen es zu körperlichem und sexuellem Mißbrauch kommt. Verschiedene Identitäten können Konversionssymptome (z.B. Pseudoanfälle) oder ungewöhnliche Fähigkeiten der Kontrolle von Schmerzen oder anderen körperlichen Symptomen zeigen. Personen mit dieser Störung haben möglicherweise auch Symptome, die die Kriterien für eine Affektive Störung, eine Störung im Zusammenhang mit Psychotropen Substanzen, eine Sexuelle Störung, eine Eßstörung oder eine Schlafstörung erfüllen. Selbstverletzendes Verhalten, Impulsivität und plötzliche, intensive Wechsel in Beziehungen können auch die gleichzeitige Diagnose einer Borderline Persönlichkeitsstörung nahelegen.

Zugehörige Laborbefunde. Personen mit einer Dissoziativen ldentitätsstörung erreichen hohe Werte bei Messungen der Hypnotisierbarkeit und der dissoziativen Fähigkeiten. Es gibt Berichte über Veränderungen in den physiologischen Funktionen bei verschiedenen ldentitätszuständen (z. B. Unterschiede in der visuellen Schärfe, der Schmerztoleranz, in Symptomen von Asthma, in der Sensibilität gegenüber Allergenen und der Reaktion von Glukose im Blut auf Insulin).

Zugehörige körperliche Untersuchungsbefunde und medizinische Krankheitsfaktoren. Es können Narben von selbstinduzierten Verletzungen oder körperlichem Mißbrauch vorhanden sein. Personen mit dieser Störung können auch unter Migräne und anderen Arten von Kopfschmerzen leiden sowie unter Reizkolon und Asthma.

Besondere kulturelle, Alters- und Geschlechtsmerkmale

Aufgrund der in letzter Zeit berichteten hohen Rate dieser Störung in den Vereinigten Staaten wurde vermutet, daß dies ein kulturspezifisches Syndrom sein könnte. Insbesondere bei Kindern ist sehr viel Sorgfalt aufzuwenden, um diese Diagnose zu stellen, da die Ausprägungen weniger deutlich als bei Jugendlichen und Erwachsenen sein können. Die Dissoziative Identitätsstörung wird drei- bis neunmal häufiger bei erwachsenen Frauen als bei erwachsenen Männern diagnostiziert. In der Kindheit kann das Mann zu Frau-Verhältnis ausgeglichener sein, aber dazu gibt es noch wenig Daten. Frauen haben tendenziell mehr Identitäten als Männer, im Durchschnitt 15 oder mehr, während Männer durchschnittlich höchstens 8 Identitäten aufweisen.

Prävalenz

Der starke Anstieg der berichteten Fälle von Dissoziativen Identitätsstörungen in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren gab Anlaß zu verschiedenen Interpretationen. Einige glauben, daß die größere Bewußtheit für die Diagnose bei Untersuchern dazu führte, daß mehr Fälle identifiziert wurden, die vorher ohne Diagnose blieben. Im Gegensatz dazu steht die Annahme, daß das Syndrom bei Personen mit hoher Suggestibilität überdiagnostiziert wurde.

Verlauf

Es scheint, als hätte die Dissoziative ldentitätsstörung einen fluktuierenden klinischen Verlauf mit der Tendenz zur Chronizität und zum Wiederauftreten. Die durchschnittliche Zeitspanne vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnose beträgt 6-7 Jahre. Sowohl ein phasenhafter wie ein kontinuierlicher Verlauf wurden bisher beschrieben. Die Störung kann bei Personen, die älter als Ende vierzig sind, weniger manifest werden, kann aber in Phasen vermehrter Belastung, bei traumatischen Ereignissen oder im Zusammenhang mit Substanzmißbrauch wieder auftreten.

Familiäres Verteilungsmuster

Verschiedene Studien legen nahe, daß die Dissoziative Identitätsstörung bei biologischen Verwandten ersten Grades von Betroffenen häufiger vorkommt als in der Allgemeinbevölkerung.

Differentialdiagnose

Die Dissoziative Identitätsstörung muß unterschieden werden von Symptomen, die durch die direkte körperliche Wirkung eines medizinischen Krankheitsfaktors verursacht werden (z.B. Anfälle) (siehe S.210). Diese Beurteilung basiert auf Anamnese, Laboruntersuchungen oder der körperlichen Untersuchung. Die Dissoziative Identitätsstörung sollte auch unterschieden werden von dissoziativen Symptomen aufgrund von komplex-partiellen Anfällen, auch wenn diese beiden Störungen gleichzeitig auftreten können. Anfallszustände sind in der Regel kurz (30 Sekunden bis 5 Minuten) und beinhalten nicht die komplexen und andauernden Strukturen der Identität und des Verhaltens wie bei der Dissoziativen Identitätsstörung. Es gibt hier auch seltener eine Vorgeschichte mit körperlichem und sexuellem Mißbrauch. EEG-Untersuchungen, speziell unter Schlafentzug und mit nasopharyngealer Ableitung können die Differentialdiagnose unterstützen.

Symptome, die durch die direkte körperliche Wirkung einer Substanz verursacht werden, unterscheiden sich von der Dissoziativen Identitätsstörung durch die Tatsache, daß eine Substanz (z. B. eine Droge oder ein Medikament) ursächlich mit der Störung im Zusammenhang steht (siehe S.239).

Die Diagnose einer Dissoziativen Identitätsstörung hat Vorrang vor der Dissoziativen Amnesie, der Dissoziativen Fugue und der Depersonalisationsstörung. Personen mit Symptomen der Trance und der Besessenheitstrance, die die Diagnose einer Nicht Näher Bezeichneten Dissoziativen Störung erhalten, beschreiben typischerweise, daß externe Geister oder Wesen in ihren Körper eingedrungen sind und die Kontrolle übernommen haben. Sie sind aufgrund dieser Symptome von Personen mit einer Dissoziativen Identitätsstörung zu unterscheiden.

Es gibt eine Kontroverse über die Differentialdiagnose zwischen der Dissoziativen Identitätsstörung und einer Reihe anderer psychischer Störungen wie Schizophrenie und andere Psychotische Störungen, Bipolare Störung, Mit Rapid Cycling, Angststörungen, Somatisierungsstörungen und Persönlichkeitsstörungen. Einige Untersucher glauben, daß die Dissoziative Identitätsstörung bisher zu selten diagnostiziert wurde (z. B. kann das Vorhandensein von mehr als einem dissoziierten Persönlichkeitszustand als Wahn fehlinterpretiert werden, und die Kommunikation von einer Identität zur anderen kann als auditive Halluzination bewertet werden. Beides kann zu einer Verwechslung mit einer Psychotischen Störung führen. Wechsel zwischen verschiedenen Identitätszuständen können für zyklische Affektschwankungen gehalten werden, was zu einer Verwechslung mit einer Bipolaren Störung führen kann). Im Gegensatz dazu befürchten andere Untersucher, daß die Dissoziative Identitätsstörung in Relation zu anderen psychischen Störungen überdiagnostiziert werden könnte, dies vor allem aufgrund des Interesses der Medien an dieser Störung und der Suggestibilität der Betroffenen. Faktoren, die die Diagnose einer Dissoziativen Identitätsstörung unterstützen, sind das Vorhandensein einer klar begrenzten dissoziativen Symptomatik mit plötzlichen Wechseln zwischen den Identitätszuständen, eine reversible Amnesie und hohe Werte bei Messungen von Dissoziation und Hypnotisierbarkeit bei Personen, die keine charakteristischen Zeichen einer anderen psychischen Störung aufweisen.

Die Dissoziative Identitätsstörung muß von der Simulation unterschieden werden, vor allem in Situationen, in denen es um einen finanziellen oder forensischen Nutzen geht. Bei der Vorgetäuschten Störung gibt es in der Regel ein Muster von hilfesuchendem Verhalten.

Diagnostische Kriterien für 300.14 (F44.81) Dissoziative Identitätsstörung

  1. Die Anwesenheit von zwei oder mehr unterscheidbaren Identitäten oder Persönlichkeitszuständen (jeweils mit einem eigenen, relativ überdauernden Muster der Wahrnehmung von, der Beziehung zur und dem Denken über die Umgebung und das Selbst).
  2. Mindestens zwei dieser Identitäten oder Persönlichkeitszustände übernehmen wiederholt die Kontrolle über das Verhalten der Person.
  3. Eine Unfähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, die zu umfassend ist, um durch gewöhnliche Vergeßlichkeit erklärt zu werden.
  4. Die Störung geht nicht auf die direkte körperliche Wirkung einer Substanz (z.B. blackouts oder ungeordnetes Verhalten während einer Alkoholintoxikation) oder eines medizinischen Krankheitsfaktors zurück (z. B. komplex-partielle Anfälle).
    Beachte:Bei Kindern sind die Symptome nicht durch imaginierte Spielkameraden oder andere Phantasiespiele zu erklären.

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