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Aufsätze - Ritueller Mißbrauch
Thorsten Becker & Patrick Felsner



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6. Kooperation von HelferInnen in Helfersystemen

Für ein sich vielschichtig darstellendes Problem wie das des Rituellen Mißbrauchs gibt es vielfältige Anforderungen an die HelferInnen. Der hier empfundene Druck und die für diese Bereich typische Dynamik führen häufig zu massiven überforderungen, zu einem überschreiten eigener Grenzen ebenso wie zu einem Verlust professioneller Distanz. Das Leiden der HelferInnen, der entstehende emotionale Streß, die "mittelbare Traumatisierung", die potentielle Bedrohungs- und Verletzungsgefahr, der Umgang mit den Schilderungen massiver Gewalterfahrungen und die unabdingbar mit diesem Bereich verknüpften ethischen Probleme stellen hohe Anforderung an sowohl Persönlichkeit als auch Professionalität. Die erforderlichen Bewätigungsstrategien sind Teil einer Studie der amerikanischen Psychologin Nancy Perry gewesen (vgl. Michaela Huber; Multiple Persönlichkeiten - Überlebende extremer Gewalt; Frankfurt am Main, 1995; S.189 f.). Vorbeugend gilt es, sich den eigenen Handlungsrahmen und die damit verbundenen eigenen Aufgaben und Tätigkeiten zu verdeutlichen. Das folgende Modell kann hierfür wichtige Impulse geben.

6.1. Das 3-Stufen-Modell der Handlungsebenen

Für diese Modelle ist es wichtig, sich die Handlung- und Aufgabenbereiche zu verdeutlichen. Kenneth V. Lanning von der Behavioral Science Unit der FBI -Academy hat hierfür wesentliche Anregungen gegeben. Er beschreibt drei Handlungsebenen:
  • die therapeutische Ebene
  • die sozialarbeiterische Ebene
  • die juristische Ebene
(Lanning, Kenneth V.; Ritual Abuse: A Law Enforcement View or Perspective; in: Child Abuse and Neglect; Vol. 15, 1991, S. 171-173).

Von dieser Gliederung ausgehend, läßt sich ein dreistufiges System hinsichtlich der Verantwortlichkeit, der Handlungsaspekte und der hiermit verbundenen Bewertung der Schilderungen von Opfer / Überlebenden thesenhaft darstellen.
  • Auf der therapeutischen Ebene - die den beraterischen Bereich einschließt - geht es vordergründig darum, dem Opfer zu helfen. Eine Verifizierung der Aussagen ist in diesem Bereich ist nicht unbedingt erforderlich, da es um belastende Probleme und traumatische Erfahrungen geht, die den Fokus dieses Bereichs darstellen. Auch irreale Vorgänge können für Opfer / Überlebende Rituellen Mißbrauchs erheblichen psychosozialen Streß verursachen.
  • Auf der sozialarbeiterischen Ebenen geht es um eine reale Einschätzung von Vorgängen, die die Grundlage des Handelns bilden. Hier gilt es, Maßnahmen zu treffen (beispielsweise die Inobhutnahme von Kindern), die fachlich zu verantworten sind. Dementsprechend muß hier der Grad der überprüfbarkeit höher liegen.
  • Auf der juristischen Ebene geht es um konkrete Straftatbestände und deren unmittelbare Überprüfbarkeit in Form von Beweismitteln.
Optimal erscheint eine Vernetzung und Kooperation dieser drei Ebenen. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß nur durch eine sorgfältige beraterische / therapeutische Begleitung in Verbindung mit sozialarbeiterischem Handeln - indem aktenrelevante Vorgänge geschaffen werden - eine juristische Bearbeitung stattfinden kann, die das Opfer / der Überlebende auch durchsteht. Erinnerung an die extremen traumatischen Erlebnisse während Vernehmungen, die notwendigen professionellen Zweifel der Ermittlungsbehörden und nicht zuletzt auch - und vor allem - Einstellungsbescheide von Verfahren verursachen häufig selbstzerstörerische und suizidale Impulse bei den Betroffenen. Die gesamte Situation eines Ermittlungsverfahrens bedeutet ungeheuren Streß für alle Beteiligten und häufig die Notwendigkeit eines sehr schnellen Handelns (auch nachts und an Wochenenden) - und dies gilt es vorher zu realisieren. Ist eine diese Handlungsebenen nicht abgesichert, birgt dieser Umstand kaum zu unterschätzende Potentiale in sich, die zu einem Scheitern jeglichen Handelns führen können und das Opfer / den Überlebenden erneut traumatisieren und ihm auch jegliche Lebensperspektive zerstören können.

6.2. Modelle der Zusammenarbeit

Eine Kooperation in Helfersystemen kann der eigenen überforderung begegnen; eine weite Vernetzung bezieht andere Disziplinen und Bereiche mit ein, um der Vielschichtigkeit der Problematik des Rituellen Mißbrauchs zu begegnen. Dies bedarf besonderen Berücksichtigung bei der Arbeit mit Kindern in organisierten Zusammenhängen; d.h. wenn ähnliche lautende Aussagen von mehreren Kindern die Annahme nahe legen, daß ein größerer Personenkreis betroffen ist.
Für eine Kooperation und Vernetzung lassen sich vier Bereiche unterscheiden:
  1. Primär mit den Opfern / Überlebenden arbeitend:
    • Beratungsangebote
    • Therapeuten
    • Ärzte
    • Jugendhilfe-Einrichtungen
    • Kindertagesstätten
    • Schulen
    • "Spezialisten"
    • ...
  2. Sekundär mit den Opfern / Überlebenden arbeitend:
    • Ämter für Soziale Dienste
    • Rechtsanwälte
    • Polizei
    • Staatsanwaltschaft
    • (Ermittlungs-)Richter
    • ...
  3. Der Bereich der kooperierenden Hilfen:
    • externe Fachleute (z.B. Religionswisssenschaftler; Anthropologen)
    • ...
  4. Der Bereich von Öffentlichkeitsarbeit
    • Journalisten
    • ...
Für diese Art der Zusammenarbeit gibt es unterschiedliche Modelle
  • Helferkonferenz
  • Die Kombination von direkter Beratung und externer Fachberatung in den unterschiedlichen Konstellationen
  • Das "Spezialisten"modell
  • Case Management

6.2.1. Helferkonferenz

Bei dem Modell der Helferkonferenz kooperieren alle für die konkrete Fallbearbeitung zuständigen und benötigten Fachleute. Es gibt regelmäßige Treffen in Form eines "runden Tisches", bei dem die aktuellen Entwicklungen besprochen und konkrete Handlungsschritte geplant und abgestimmt werden. Dieses häufig seitens der Jugendhilfe favorisierte Modell ist sehr statisch, und im Bezug auf schnelle Entwicklungen wenig reaktionsfähig. Außerdem sind auftretende Rivalitäten und Mißtrauen zu beachten, die gerade in diesem Bereich sehr schnell entstehen, wenn einige Kooperationspartner enger zusammenarbeiten als andere und dieser Umstand nicht in dem erforderlichen Informationsfluß berücksichtigt wird.

6.2.2. Kombinationen von direkter Beratung und externer Fachberatung

Für den Bereich der direkten Beratung und Zuhilfenahme externen Fachberatung gibt es mehrere Ansätze:
  • Es erfolgt eine direkte Beratung von Opfern / Überlebenden, die Berater qualifizieren sich durch entsprechende Fortbildungen selber und nehmen - zusätzlich neben der erforderlichen Supervision - externe Fachberatung in Anspruch, ohne daß hier genauere Informationen weitergegeben werden. Die hier gegebenen hohe Vertraulichkeit / Geheimhaltung trägt den hohe Preis der Belastungen der HelferInnen und der möglichen Reibungsverluste durch unzureichende Informationsweitergabe.
  • Es erfolgt eine direkte und offene Kooperation mit der externen Fachberatung durch die in der direkten Beratung Tätigen. Auf diese Weise werden Informationsdefizite und die daraus resultierenden Reibungsverluste vermieden. Diese Modell erfordert ein hohes Maß an Vertrauen und Offenheit aller Beteiligten und in der Regel auch gemeinsame Supervision, wenn es über einen längeren Zeitraum angelegt ist. Für die Kommunikation in diesem Helfersystem gibt es zwei Alternativen:
  1. die "offene Kommunikation"; alle Informationen werden ausgetauscht und gemeinsam bewertet. Es erfolgen Absprachen und gemeinsame Planungen über Ziele und weitere Handlungsschritte.
  2. Um eine unbewußte oder bewußte Suggestion seitens der Berater zu vermeiden, gibt es das Modell der "Kommunikation ohne Rückkoppelung". Die Information der BeraterInnen werden von der Fachberatung gesammelt und ausgewertet. Basierend auf diesen Ergebnissen erfolgen konkrete Handlungsanweisungen für die weiteren beraterischen Umgang. Die bei Anwendung dieses Modells entstehende hohe Unzufriedenheit und Frustration der Berater gilt es aufzufangen. Die Vorteile dieser Vorgehensweise kommen insbesondere bei einer hohen Klientenzahl in einem Fall - beispielsweise bei einem institutionellen Mißbrauch in einem Kindergarten - und einer geringen Zahl von zur Verfügung stehenden BeraterInnen zum Tragen.

6.2.3. Das "Spezialisten"modell

Bei dem "Spezialisten"modell wird die gesamte Fallbearbeitung auf "Spezialisten" übertragen. Dieses können entweder einzelne Mitarbeiter - beispielsweise des Jugendamtes - sein, die bei einer hohe Zahl von Fallschilderungen für diese Aufgabe freigestellt werden. Eine Alternative ist die übertragung auf externe "Spezialisten".

6.2.4. Case-Management

Das Modell des Case-Managements wird in anderen Bereichen bereits seit langem erfolgreich praktiziert (vgl. Baller, Ankie; Das Büro Kinder drogenabhängiger Eltern (KDO); Amsterdam, 1993; (zu beziehen über: Ankie Baller; Koordinatorin KDO / GG&GD; Nieuwe Achtergracht 100; 1018 WT AMSTERDAM; Tel:: 020-5555 444) und in: S.P.ORG.-Consulting e.V. (Hrsg.); Dokumentation der Fachtagung: "Hilfen für Kinder drogenabhängiger Eltern"; Lüneburg, 1996). Hier wird ein spezieller Case-Manager ohne direkten Klientenkontakt eingesetzt, der alle Beteiligten koordiniert und informiert und darüber hinaus selbständig weitere Spezialisten - auch für Teilbereiche - hinzuzieht. Eine derartige Vorgehensweise kann zu einer erheblichen Entlastung aller Beteiligten und zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit beitragen.

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